Was sind die zehn Lesearten des Korans?

Viele Muslime hören beim Rezitieren des Korans verschiedene Varianten und fragen sich: Warum klingen manche Verse unterschiedlich? Ist das ein Fehler oder erlaubt? In diesem Artikel erklären wir auf einfache Weise, was die zehn Koranrezitationen (Qirāʾāt) sind, warum es sie gibt und was sie bedeuten

Was bedeutet „Qirāʾāt“?

Das arabische Wort Qirāʾa (Plural: Qirāʾāt) bedeutet „Lesung“ oder „Rezitation“. Im islamischen Kontext bezieht es sich auf die verschiedenen Arten, wie der Koran ausgesprochen und rezitiert werden kann, basierend auf authentischen Überlieferungen, die auf den Propheten Muhammad ﷺ zurückgehen.

Sind alle Qirāʾāt korrekt?

Ja, alle zehn Qirāʾāt sind authentisch und überliefert durch eine ununterbrochene Kette (Isnād) von glaubwürdigen Überlieferern. Sie gelten als göttlich offenbart und wurden vom Propheten selbst gelehrt.

Wer sind die zehn berühmten Qurrāʾ?

Hier eine Liste der zehn Koranrezitatoren und Beispiele ihrer Rezitation:

Nr.Qārīʾ (Deutsch)Qārīʾ (Arabisch)
1Nāfiʿ (Medina)نافع المدني
2Ibn Kathīr (Mekka)ابن كثير المكي
3Abū ʿAmr (Basra)أبو عمرو البصري
4Ibn ʿĀmir (Damaskus)ابن عامر الشامي
5ʿĀṣim (Kufa)عاصم الكوفي
6Ḥamza (Kufa)حمزة الكوفي
7Al-Kisāʾī (Kufa)الكسائي الكوفي
8Abū Jaʿfar (Medina)أبو جعفر المدني
9Yaʿqūb (Basra/Hadramaut)يعقوب الحضرمي
10Khalaf (Kufa)خلف البزار

Wie wurden diese Rezitatoren (Qurrāʾ) ausgwählt?

1. Voraussetzung: Tawātur (massiv überlieferte Übertragung)

Nur Rezitationsweisen, die von vielen unabhängigen Überlieferern in jeder Generation überliefert wurden (Tawātur), wurden als authentisch akzeptiert. Damit war sichergestellt, dass sie wirklich auf den Propheten Muhammad ﷺ zurückgehen und nicht auf individuelle Meinungen einzelner Gelehrter.

2. Systematisierung durch Ibn Mujāhid (gest. 324 n. H./936 n. Chr.)

Im 10. Jahrhundert sammelte der Koranwissenschaftler Abū Bakr Ibn Mujāhid erstmals systematisch die sieben bekanntesten Lesarten, die alle drei Kriterien erfüllten. Diese wurden fortan als die „sieben Qirāʾāt“ bekannt.
Er wählte nicht einfach willkürlich sieben Lesarten aus, sondern dokumentierte, wer dafür bekannt war, diese oder andere Lesarten zu lehren, und wer eine starke Überlieferung hatte.

3. Spätere Ergänzung auf zehn Qirāʾāt

Spätere Gelehrte wie al-Dānī (gest. 444 H) und Ibn al-Jazarī (gest. 833 H) stellten klar, dass es noch drei weitere Lesarten gab, die die gleichen Kriterien erfüllten. Diese wurden von:

  • Abū Jaʿfar (المدني)
  • Yaʿqūb (الحضرمي)
  • Khalaf (البزار)

Beispiele für Unterschiede in den Qirāʾāt

Beispiel 1: Sura Al-Fātiḥa, Vers 4

  • Ḥafṣ von ʿĀṣim: Māliki yawm al-dīn (مالك يوم الدين) – „Herrscher am Tag des Gerichts“
  • Warsh von Nāfiʿ: Maliki yawm al-dīn (ملك يوم الدين) – „König am Tag des Gerichts“

Beide Bedeutungen sind korrekt und ergänzen sich.

Beispiel 2: Sura Al-Masad, Vers 4

  • Ḥafṣ an ʿĀṣim: وامرأته حمالةَ الحطب
  • Warsh an Nāfiʿ: وامرأته حمالةُ الحطب

Warum gibt es verschiedene Koranrezitationen?

Erleichterung für verschiedene arabische Stämme

Zur Zeit des Propheten gab es verschiedene Dialekte. Die Qirāʾāt ermöglichen es, dass Muslime aus unterschiedlichen Regionen den Koran korrekt lesen können

Im 7. Jh. n. H. gab es zahlreiche arabische Dialekte. Allah erlaubte verschiedene authentische Rezitationsarten beibrachte sie dem Propheten, damit Muslime aus unterschiedlichen Regionen den Koran korrekt lesen konnten.

Fazit: Was solltest du dir merken?

Die zehn Koranrezitationen sind keine Widersprüche, sondern ein Reichtum, der die Tiefe, Vielfalt und Schönheit des Korans zeigt. Alle sind authentisch, erlaubt und korrekt überliefert. Für Anfänger genügt es, eine Lesart zu lernen (meist Hafṣ), aber mit der Zeit kann man mehr erfahren.

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