Der Koran ist das zentrale heilige Buch des Islam, das von Muslimen auf der ganzen Welt als die wörtliche und unverfälschte Offenbarung Gottes (arabisch: Allah) angesehen wird. Er gilt als die primäre Quelle des Glaubens, der Theologie, des Rechts und der moralischen Lebensführung für über 1,5 Milliarden Menschen. Im Glaubensverständnis des Islam ist der Koran das direkte Wort Gottes, das dem Propheten Muhammad über einen Zeitraum von etwa 23 Jahren offenbart wurde.
Eine zentrale Nuance, die oft übersehen wird, liegt bereits im Namen selbst. Das arabische Wort Al-Koran (القرآن) leitet sich von der Wurzel kara’a ab, was „lesen“, „vortragen“ oder „rezitieren“ bedeutet. Dies unterstreicht die untrennbare duale Natur des Textes: Der Koran ist nicht nur ein physisches Buch (genannt Mushaf), „Kodex“ oder „geschriebene Seiten“), sondern ebenso ein mündlicher, performativer Text, dessen Klang, Rhythmus und Rezitation (genannt Tajweed) von fundamentaler spiritueller Bedeutung sind. Für Muslime ist er der Höhepunkt einer langen Kette göttlicher Botschaften, die frühere Schriften wie die Thora, die Psalmen und das Evangelium bestätigen und vervollständigen.

Die Entstehung des Korans: Von der Offenbarung zur Schrift
Die Entstehungsgeschichte des Korans, wie sie die islamische Tradition überliefert, ist ein fundamentaler Aspekt des Glaubens. Sie umfasst den Prozess der göttlichen Offenbarung an einen einzelnen Mann und die anschließende akribische Sammlung dieses mündlichen Textes zu einem schriftlichen Kodex, der die Jahrhunderte überdauert hat.
Die Offenbarung (al-waḥy) an den Propheten Muhammad
Nach islamischem Glauben begann die Offenbarung des Korans im Jahr 610 n. Chr.. Muhammad, damals 40 Jahre alt, hatte sich in die Höhle Hira auf einem Berg bei Mekka zurückgezogen, um zu meditieren. Dort erschien ihm der Engel Gabriel (arabisch: Dschibrīl) und überbrachte ihm die ersten Verse. Dieses Ereignis wird als die „Nacht der Bestimmung“ (Laylat al-Qadr) bezeichnet.
Diese Offenbarungen (arabisch: Wahy) setzten sich über einen Zeitraum von rund 23 Jahren fort und endeten erst mit dem Tod des Propheten im Jahr 632 n. Chr.. Die Überlieferungen beschreiben die Offenbarungserfahrung als intensiv; manchmal kam sie „wie das Klingeln einer Glocke“, manchmal sah Muhammad den Engel in menschlicher Gestalt. Ein zentraler Punkt des Glaubens ist, dass Muhammad als (ummi) galt, was traditionell als „illiterat“ oder „ungebildet“ interpretiert wird. Dies dient als theologisches Argument für die göttliche, unnachahmliche Natur des Korans, da ein Mensch ohne Lese- und Schreibkenntnisse einen Text von solcher sprachlicher Komplexität und Tiefe nicht hätte hervorbringen können.
Struktur und Inhalt: Der Aufbau des Korans
Der Koran ist kein lineares, erzählendes Buch wie etwa die biblische Genesis. Seine Struktur ist einzigartig und folgt einer eigenen, göttlichen Logik, die sich westlichen Lesegewohnheiten oft entzieht.
Suren und Verse (Ayat): Die Bausteine des Korans
Der Koran ist in 114 Kapitel unterteilt, die Suren (Einzahl: Surah) genannt werden. Jede Surah (mit Ausnahme von Sure 9) beginnt mit der Basmala, der Formel „Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers“ (Bismillāhir-Raḥmānir-Raḥīm).
Die Suren sind nicht chronologisch nach ihrer Offenbarung geordnet, sondern (mit Ausnahme der ersten, kurzen Eröffnungssure al-Fatiha) grob nach ihrer Länge. Die längste Sure (Sure 2, al-Baqara – „Die Kuh“) steht am Anfang, gefolgt von kürzeren Suren bis hin zu den sehr kurzen Suren am Ende des Buches.
Jede Surah besteht aus Ayat (Einzahl: Ayah), was wörtlich „Zeichen“ oder „Wunder“ bedeutet. Die Anzahl der Verse variiert stark, von über 280 in Sure 2 bis zu nur drei in den kürzesten Suren. Für die praktische Rezitation, insbesondere während des Fastenmonats Ramadan, ist der Koran zudem in 30 gleich lange Teile (genannt Juzz) unterteilt, um die Lektüre des gesamten Buches in einem Monat zu erleichtern.

Mekkanische vs. Medinensische Suren: Eine kontextuelle Unterscheidung
Obwohl die Suren nicht chronologisch geordnet sind, hat die islamische Gelehrsamkeit eine andere wichtige Einteilung vorgenommen: die Unterscheidung zwischen mekkanischen und medinensischen Suren. Diese Einteilung basiert auf dem Zeitpunkt der Offenbarung relativ zur Hidschra (der Auswanderung Muhammads von Mekka nach Medina im Jahr 622 n. Chr.).
Mekkanische Suren (vor 622 n. Chr.): Diese Suren stammen aus der früheren Phase von Muhammads Wirken in Mekka. Sie sind oft kürzer, poetischer und rhythmischer. Ihre zentralen Themen sind der Kern des Glaubens: die absolute Einheit Gottes (Tawhid), die Ankündigung der Auferstehung und des Jüngsten Gerichts, die Wunder der Schöpfung und die Geschichten früherer Propheten.
Medinensische Suren (nach 622 n. Chr.): Diese Suren wurden offenbart, nachdem Muhammad in Medina eine Gemeinschaft und einen Staat aufgebaut hatte. Sie sind oft länger und prosaischer. Sie befassen sich mit den praktischen Aspekten des Gemeinschaftslebens: Gesetzgebung (z. B. Erbrecht, Strafrecht), soziale Regeln, Anweisungen für Rituale (Gebet, Fasten), die Organisation der Gemeinschaft und die Auseinandersetzung (oft polemisch) mit anderen Religionsgemeinschaften, insbesondere Juden und Christen.
Die zentralen Lehren und Themen des Korans
Der Koran ist kein reines Gesetzbuch oder eine bloße Chronik, sondern ein Huda (Leitfaden), dessen Themen sich durch den gesamten Text ziehen und gegenseitig bedingen.
Der Monotheismus (Tawhid): Die absolute Einheit Gottes
Das „zentrale Thema“ des Korans ist der (Tawhid) – die Lehre von der absoluten, kompromisslosen Einheit und Einzigartigkeit Gottes. Allah wird als der einzige Schöpfer, Erhalter und Richter des Universums beschrieben. Er ist unteilbar, hat keine Partner, keine Nachkommen und ist mit nichts und niemandem vergleichbar.
Das genaue Gegenteil und die einzige Sünde, die im Koran als unverzeihlich gilt (sofern man nicht zu Lebzeiten bereut), ist Shirk: die Beigesellung von Partnern zu Gott, sei es durch die Anbetung von Götzen, Menschen oder abstrakten Konzepten.
Prophetie und frühere Offenbarungen (Nubuwwa)
Der Koran stellt sich selbst als das „Siegel“ und die abschließende Kulmination einer langen Kette von göttlichen Offenbarungen an die Menschheit dar. Er lehrt, dass Gott zu jedem Volk einen Propheten gesandt hat, um dieselbe Kernbotschaft des Tawhid zu verkünden.
Der Koran „bestätigt“ die Wahrhaftigkeit früherer Schriften wie der Thora (an Moses), der Psalmen (an David) und des Evangeliums (an Jesus). Gleichzeitig erhebt er den Vorwurf, dass die Anhänger dieser Religionen (Juden und Christen) die ursprünglichen Botschaften im Laufe der Zeit verfälscht oder missverstanden hätten. Der Koran soll diese ursprüngliche Botschaft wiederherstellen.
Daher ist der Koran reich an Geschichten und Erwähnungen von Propheten, die auch aus der jüdischen und christlichen Bibel bekannt sind, obwohl ihre Geschichten oft mit anderen Details oder theologischen Schwerpunkten erzählt werden.
Das Jenseits (Ākhira): Gericht, Paradies und Hölle
Ein weiteres omnipräsentes Thema ist das Jenseits (Ākhira). Der Koran betont nachdrücklich die persönliche Verantwortung und Rechenschaftspflicht jedes Einzelnen am Tag des Jüngsten Gerichts. Der Text enthält lebhafte Beschreibungen der Auferstehung, der Belohnungen im Paradies (Jannah) für die Rechtschaffenen und der Bestrafungen in der Hölle (Dschahannam) für die Ungerechten.
Ethik, Moral und Soziale Gerechtigkeit
Der Koran versteht sich als ein umfassender Leitfaden (Huda) für ein „rechtschaffenes und moralisches Leben“. Er enthält eine Vielzahl von Geboten und Verboten, die das rituelle, persönliche und soziale Leben regeln. Ein starker Fokus liegt auf sozialer Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Vergebung, Geduld und Ehrlichkeit. Wiederholt werden die Gläubigen ermahnt, für die Schwachen der Gesellschaft zu sorgen – insbesondere für Arme, Waisen, Witwen und Reisende.
Die Rolle des Korans im Leben eines Muslims
Für praktizierende Muslime ist der Koran weit mehr als nur eine historische Heilige Schrift; er ist eine lebendige, alltägliche Präsenz.
Heilige Schrift, Rechtsquelle und spiritueller Leitfaden (Huda & Dhikr)
Der Koran ist die „oberste Richtschnur für alles Handeln“ und die absolute Primärquelle für alle Aspekte des Glaubens. Seine Hauptfunktionen im täglichen Leben sind (Huda) (Leitfaden) und (Dhikr) (Gedenken oder Erinnerung). Als (Huda) bietet er Orientierung für moralische Entscheidungen im persönlichen und gesellschaftlichen Leben. Als (Dhikr) dient seine Rezitation dazu, Gott im Bewusstsein zu halten, das Herz zu beruhigen und eine spirituelle Verbindung zum Schöpfer aufzubauen.
Rezitation (Tajweed)
Aufgrund der Ursprünge des Korans als mündlicher „Rezitation“, ist die Art und Weise seines Vortrags von enormer Bedeutung. Tajweed ist die Wissenschaft der korrekten und kunstvollen Rezitation des Korans, die Phonetik, Rhythmus und Intonation regelt.Das Hören einer klangvollen Koranrezitation ist für viele Muslime eine tief bewegende spirituelle Erfahrung. – Mehr erfahren über Tajweed –


